Rummelplatz die 4.

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Heute habe ich die vierte Ladung von dem Wahnsinns-Wundermittel bekommen. Das Prozedere finde ich ja schon ein bisschen lustig. Wenn die Blutwerte in Ordnung sind, ruft die freundliche Praxismitarbeiterin in der Apotheke an und gibt durch, dass die „Chemo für die Frau Emig freigegeben wird“. Wow, und dann geht´s los. Ich stelle mir das so vor:
Die Telefonistin (oder der Telefonist, ist ja wurscht) in der Apotheke sitzt im Büro, nimmt die Meldung entgegen  und ruft dann in der Buchhaltung an, damit gleich erst mal die Kosten richtig verbucht werden können. Die Buchhaltung ruft den Apotheken-Chef an, denn ohne Chef geht gar nix. Der Apotheken-Chef gibt an seine Sekretärin weiter, dass sie im Labor anrufen kann, dass die Chemo für die Frau Emig freigegeben und verbucht ist. Im Labor wird die Meldung weitergegeben an das Steril-Labor, wo die beiden Apotheker (oder Apothekerinnen, das Geschlecht ist egal, aber es müssen zwei sein, zur Sicherheit) endlich loslegen können mit der Mischung der Wundermittel, die so klangvolle Namen haben wie zum Beispiel „Carboplatin“. Das klingt doch sehr edel, finde ich. Der Preis dafür ist auch sehr edel. Das andere, was ich bekomme, heißt Docetaxel, mit der Betonung auf dem E. Dann klingt das schon viel vornehmer als meine Variante, als ich es noch nicht besser wusste und es einfach „Dotzetatzel“ genannt hatte, ohne Betonung auf dem letzten  E.
Ich stelle mir dann immer gerne vor, dass die beiden Apotheker in Schutzanzügen unter Hochsicherheitsvorkehrungen meine Mischung anrühren, während es um sie herum blubbert, dampft und blitzt. (Ich weiß, das ist totaler Quatsch. Ich finde die Vorstellung aber lustig.)
Wenn die Mischung fertig ist, wird sie dem Fahrer übergeben, der sie in einem Hochsicherheits-Spezialtransportgerät (Kühlbox) auf schnellstem Wege in die Onko-Praxis fährt.
Dort wird das wertvolle Paket an die freundliche Praxismitarbeiterin übergeben, die es eigenhändig auspacken darf. Und was bekomme ich präsentiert?
Aus einer Plastiktüte, die aussieht wie die Versandtaschen von Klamottenversandhäusern, wird ein unscheinbarer Klarsichtbeutel gefischt  mit meinem Namen drauf und einer durchsichtigen Flüssigkeit drin. Der Beutel sieht aus wie die Gefrierbeutel in meiner Küchenschublade. Es schwimmt leider gar kein Glitzer drin, und die Verpackung könnte auch ein bisschen fantasievoller sein. Mit Goldrand zum Beispiel, als Hinweis auf den wertvollen Inhalt.
Vor meiner ersten Chemo habe ich tatsächlich gefragt, ob ich eine Wimpelkette an meine Beutel hängen darf. Als gebührende Würdigung für das Hochleistungsmedikament. (Und um die Angelegenheit ein bisschen fröhlich zu gestalten.)  Die freundliche Praxismitarbeiterin wirkte leicht irritiert. Ob ich vielleicht eine andere Idee hätte, um mir meine Sitzung angenehm zu gestalten?
Ob ich Glitzersterne draufkleben darf? Ich habe ja noch zweimal vor mir, vielleicht traue ich mich zu fragen. Die letzte Sitzung muss eigentlich gefeiert werden!
Aber die Praxismitarbeiterinnen sind wirklich sehr nett dort. Sehr fürsorglich und bemüht, dass man sich so wohl wie möglich fühlt. Wenn die Chemos rum sind und ich nur noch die Antikörper bekomme, gehe ich bestimmt viel lieber dort hin.
Was für ein Zeug.
Sieht so harmlos aus, einfach farblos, klar, verpackt in einen Klarsichtbeutel, und tröpfelt ganz unscheinbar vor sich hin.
Ich kann nur ahnen, was da für Wahnsinns-Forschungs-Zeiten drin stecken, ein Haufen Arbeit, Ideen, Vorstellungen, Verwürfnisse, Neuanfänge, Diskussionen, endlose Testreihen, und endlich, endlich, das beglückende Ergebnis: Es funktioniert, die Wundermedizin! Wahrscheinlich hat sich am meisten die Pharmaindustrie gefreut. Aber ich freue mich auch, und mit mir bestimmt noch Tausende Andere. Über dieses High-Tech-Zeug, das fiese Krebszellen eliminieren kann. Total cool. Fährt das Zeug da ganz lässig rein, reibt sich die Hände „Wo sind sie denn, die Krebszellen? Ah, da sehe ich schon was, na dann mal los!“ Ärmel hochkrempeln und ran an die Arbeit.

Abschnippelkrebs 4

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